Dienstag, 24. Dezember 2013

Weihnachtszauber

Heute ist Weihnacht, und für mich einmal ein ganz anderes Fest wie sonst. Kein Baum, keine Geschenke, nichts. Ich werde heute Abend eine Kleinigkeit essen, ein paar Bier kippen, etwas im Netz surfen und dann irgendwann ins Bett gehen.

Doch so ganz kann auch ich mich diesem Fest nicht entziehen. Die Phase des perfekten Fests, mit dem perfekten Essen und dem perfekten Baum in der perfekten Familie habe ich überwunden. Trotzdem, einige Erinnerungen an früher bleiben.


Wie kann man sich auch diesem Fest entziehen, es ist immer noch ein Feiertag an dem ich nicht arbeite. Seit Wochen reden alle von Geschenken, die noch fehlen. Was sie den Kindern schenken und das der Versandhändler am günstigsten ist. Und für die Frauen noch Weihnachts-Deko, da werde ich als Mann dann ausgeschlossen. Wir sind ja Barbaren, Hauptsache die Ganz ist gar und der Wein wohl temperiert. Männerbild auf französisch.


Die Menschen in der Metro sind festlich gekleidet, mit Paketen beladen hasten sie zum Weihnachtsessen, zu den Eltern, zu den Kindern, zum Bruder oder zur Schwester. Egal wer gerade dann ist. Natürlich, wenn mein Sohn heute da wäre, würde auch ich es so feiern. Gutes Essen, schöne Dekoration und Geschenke. Dieses Jahr ist es anders.


Ich fahre gerade wieder durch Nation, eine Pariser RER- und Metro-Station. Da sitzen sie wieder, die ganzen ausgestoßenen, die Obdachlosen. Wann sie wohl ihr letztes richtiges Weihnachten hatten? Aber auch sie feiern, mit ner Flasche Rotwein und ein paar Crackern vom Supermarkt. Selbst hier scheint sich niemand diesem Weihnachtszauber ganz entziehen zu können.


Nation, die für mich magische Station in Paris. Nirgendwo gibt es so viele Obdachlose in einer U-Bahn-Station in Paris. Ich frage mich immer wenn ich durch Nation fahre, wann sehe ich den ersten Scheidungsvater den ich durch unsere Organisation kenne hier übernachten.


Wenn ich so überlege, dann kenne ich viele SDF (sans domicile fixe) - wie sie hier in Frankreich genannt werden. Obdachlos, hört sich besser an wie Clochard, Tippelbruder oder Penner. SDF, kurz, knapp und politisch korrekt. Ja, ich kenne viele SDF. Ausnahmslos alles Väter, alles Ehemänner, die nun politisch korrekt aus der Wohnung gekickt wurden. Politisch korrekt entsorgt. Komischerweise geht das nur bei verheirateten. Würden sie ohne Trauschein zusammen leben oder mit einem PACS, dann könnte sie kein Richter der Welt ohne Grund aus der Wohnung werfen. Bei verheirateten geht das, der Richter weist die Ehe-Wohnung bei der Scheidung zu und stellt dem (meist) Ehemann eine Frist. Oftmals einen Monat. Eine unserer französischen Besonderheiten,  auch ohne häusliche Gewalt wird man als Vater schnell entsorgt.

Politisch Korrekt, jedoch rechtlich mehr als fraglich. Fristen, nicht mal einen Monat. So wurde auch ich für kurze Zeit Obdachlos. Zu meinem Glück hatte ein Kollege gerade ein Studio frei, nimm es bist du was gefunden hast, war sein Kommentar. Da war es, Weihnachten, oder was es sein sollte. Einander helfen, etwas geben, auch wenn man nichts dafür zurück erhält. Weihnacht im April, dem Datum meines Scheidungsurteils...


Daran muss ich immer denken wenn ich die Menschen mit der Metro durch Paris hasten sehe, bei einem kurzen Halt an Nation, auf dem Weg zum perfekten Fest, mit dem perfekten Essen, dem perfekten Baum und den perfekten Geschenken in ihren perfekten Familien. Wenn sie dann nach den Feiertagen zurück kommen und sich beklagen, über das zu viel an Essen, das zu viel an Geschenken, die nörgelnden Kinder, dem fehlen des Weihnachtszaubers.


Dann muss ich lachen, denn ich habe mein perfektes Weihnachten, immer dann wenn ich durch Paris fahre, der RER an Nation anhält und ich keinen Vater unserer Organisation sehe. Selbst wenn nicht Weihnachten ist. Denn die schlafen oft in verwaisten Kinderzimmern, bis sie eine Wohnung zugewiesen bekommen. Soweit man das vergammelte Hotelzimmer, in dem nicht mal Platz für den Besuch der Kinder ist, als Wohnung bezeichnen kann.


Ich selbst habe mein perfektes Weihnachten, am Samstag Abend, wenn mein Sohn zu mir kommt und sein Geschenk auspackt. Wenn er strahlt, weil er seit Wochen rätselt was es gibt und ich wieder mal was gefunden habe mit dem er nicht rechnet.


Es braucht nicht viel zur perfekten Weihnacht, zumindest heute. Wäre mein Leben anders verlaufen würde auch ich heute mit meiner perfekten Familie mit dem RER durch Paris fahren, zum perfekten Baum, mit wohl temperierten Wein und den perfekten Ganz im Ofen. Perfekt für ein paar Stunden, mehr nicht. Weihnachtszauberarrangement und gelebter Familienfrieden für ein paar Stunden. Auch wir würden durch Nation fahren, aber anstatt aus dem Fenster zu sehen; würden wir uns auf das Essen freuen und uns unterhalten. Einen Blick nach draußen, nein, dass würde nicht zu Weihnachten passen, nicht an diesem perfekten Tag. Zur perfekten Weihnacht gehören keine SDF.


Nächstes Jahr habe ich meinen Sohn. Trotzdem, so habe ich mir gerade vorgenommen, werde ich Weihnachten an Nation anhalten und einen Kasten Wein, ein paar Cracker und eine Schachtel Zigaretten dort hinstellen und hoffen, das auch andere die perfekte Weihnacht haben. Auch ohne durch die Stadt zu hetzen und auch ohne Baum. Evtl. denkt der ein oder andere dieser Menschen dann bei einem Becher Wein darüber nach wie es früher war, als die Kinder Weihnachten noch da waren, die Wohnung noch mit Kinderlachen voll war, ehe ein Richter kam und ein Leben ohne Grund zerstört hat. Wo man sich über Kleinigkeiten aufgeregt hat, die dieses ach so perfekte Fest dann doch zerstört haben.

Heute gehört nicht mehr viel dazu den Zauber der Weihnacht einzufangen. Man ist froh über Kleinigkeiten die einem bleiben. Der Sohn der kommt. Das Essen auf dem Tisch. Einmal so feiern wie man es immer getan hat. Perfekt halt. Einfach in einer Wohnung, die groß genug ist, um für jeden ein Zimmer zu haben.


Ich wünsche Euch allen ein gesegnetes Fest und dass Ihr den Weihnachtszauber dieses Jahr spürt!

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